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Konferenz/Tagung/Workshop, Onlineveranstaltung

Workshop: Therapie der Dinge? Materialität der Psychoanalyse in Literatur und den bildenden Künsten

Institut für Germanistik und Anglistik/Amerikanistik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

10. December 2021
online

Die Psychoanalyse hat eine lange, bisweilen gestörte Geschichte als Verbündete der Literaturtheorie (Felman). Dabei löst sich die Literaturtheorie – wie auch andere Geisteswissenschaften – immer mehr von den Prämissen und Konstanten der Psychoanalyse, besonders vom menschlichen Subjekt und dem Symbolischen (Clarke und Rossini; Herman). Speerspitze der Kritik sind Theorien des Neuen Materialismus, die das Festhalten am menschlichen Subjekt als Anthropozentrismus und Korrelationismus brandmarken. Bruno Latour kritisiert, dass „die Gewalt“ mit der die Modernen „die Unsichtbaren jeder äußeren Existenz entkleiden und darauf beharren, sie nur in den Windungen des Ichs, des Unbewussten oder der Neuronen zu situieren“ auf „ein so tiefes Unbehagen“ und „eine so intensive Angst“ verweise (270). Kann man sich noch der Psychoanalyse widmen, sodass ihre Erkenntnisse zu einem nicht-anthropozentrischen Zugang zur Literatur beitragen? Ist es möglich, dafür Grundbegriffe und Ideen der Psychoanalyse in ihren materiellen Dimensionen neu zu denken?

Der neue Materialismus, so die These, verändert unsere Sicht auf traditionelle Anknüpfungspunkte von Psychoanalyse und Literatur: das Subjekt (und das Objekt), auch Imagination, das Imaginäre, das Unbewusste, Deutung/Interpretation, Fantasie und Zeichenprozesse. Gleichzeitig ist es aber nicht richtig, zu behaupten, die materielle Welt spiele gar keine Rolle in der Psychoanalyse. Denn ihre Theoriegeschichte strotzt nur vor Dingen: Freuds Wunderblock (Freud), Lacans Tafel oder die kybernetische Tür (Lacan; Siegert), Guattaris Kassettenrekorder (Schmidgen), „die Couch“ (die des Therapeuten (Marinelli) genauso wie die des Armen (Guattari): der Kinosessel). Der ganze psychoanalytische Apparat, wenn man ihn so nennen darf, ist ein medientechnologisches Arrangement des Sprechens-Schreibens-Aufnehmens, der nicht auf die konventionelle Bestimmung von menschlichem Sprechen, Schreiben und Hören reduziert werden kann. So stellt sich die Frage nach der Materialität dieser Arrangements: Haben technische Geräte und materielle Dinge eine eigene Agentialität? Helfen Sie dabei die Subjektivitäten zu produzieren, die sie benutzen und beherrschen? Partizipieren sie sogar im therapeutischen Prozess?

Aus dieser Perspektive erscheint eine komplexe Ökologie des Innenlebens/Interieurs, die uns davor bewahrt, die Psychoanalyse allzu schnell bei der Dekonstruktion von Anthropozentrismus und Korrellationismus (Meillassoux) in der Literatur und in den Künsten aufzugeben. In Wahrheit hat die Psychoanalyse immer schon behauptet, dass sie über das, was Jacques Derrida „Anthropologismus“ (97) nennt, hinausgeht. Sie überhole auch hinsichtlich der Bewältigung des menschlichen Subjekts den Neuen Materialismus. (Sbriglia/Zizek)
Entscheidend ist aber im Rahmen des Theorienstreits, wie sich Literatur, Theater, Film oder andere bildende Künste mit dem Zusammenhang von Materialität und Psychoanalyse auseinandersetzen. Was ist zum Beispiel mit dem Schädel, den Rainer Maria Rilke in „Ur-Geräusche“ als ein Beleg für die Materialität des Unbewussten imaginiert? Was ist mit der Bedeutung von technischen Objekten wie HAL in Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum; oder Fetisch-Objekten wie sie Monica Bonvicini kontinuierlich im White Cube ausstellt? Setzen sich surrealistische Schreibexperimente mit der Materialität der Psychoanalyse auseinander? Welche Rolle spielt die Kybernetik?
Können wir durch solche Untersuchungen unser Verständnis von Psychoanalyse und Neuem Materialismus bzw. Materialität auffrischen? Und welche Bedeutung kommt Literatur (oder andere künstlerische Artefakte) als bedeutungsproduzierende Übungen im Mensch-Sein zu?

Es wird dazu eingeladen, dieses Spannungsfeld theoretisch wie praktisch auszuloten, nicht nur ausgehend von Literatur, sondern auch ausgehend von angrenzenden Feldern der Geisteswissenschaften, wie Medien-, Kunst-, Film- und Kulturwissenschaften. 

Der Workshop wird an zwei Freitagen im Dezember (03.12. und 10.12.2021) online via Zoom stattfinden. 

Veröffentlicht am 15.03.2021