Nachrichten

Call for Papers

CfP: „Verschwinden“. Vom Umgang mit materialen & medialen Verlusten in Archiv und Bibliothek

Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel
CfP: „Verschwinden“. Vom Umgang mit materialen & medialen Verlusten in Archiv und Bibliothek

Der Umgang mit Verlusten grundiert die philologische und historische Arbeit. Die Aufmerksamkeit für das möglicherweise Verlorene und Zerstörte sowie auch für das nicht Bewahr- und Archivierbare ist elementar und zählt doch zu den schwierigsten, selten explizierten Aspekten geisteswissenschaftlicher Arbeit. Die Ungewissheit, wie das Überlieferte, noch Vorhandene angesichts kaum genau zu bemessender Lücken Wirklichkeit abbildet und zugleich verstellt, lässt es prekär werden. Was verbürgt seine Aussagekraft, seine Repräsentativität (Esch 1985; Cook 2007; Lepper & Raulff 2016)? Und sind in dieser Situation Formen des produktiven Umgangs mit Verlusten möglich? Diese Fragen betreffen insbesondere eine Sammlungsforschung, die sich nicht nur für den ›Bestand‹, sondern auch für die Spuren früherer Material- und Wissenszusammenhänge sowie für die Provenienz der Objekte, d.h. die Zeitlichkeit ihres Gegenstands interessiert (Schneider 2012; Savoy 2018), und sie gewinnen in der zunehmend digitalen Umgebung, in der sich Forscherinnen und Forscher ebenso wie Gedächtniseinrichtungen bewegen, eine neue Dringlichkeit.

Die Arbeit in lückenhafter Quellenlage gerät leicht unter den Verdacht der Nicht-Wissenschaftlichkeit, wenn sie sich als spielerisches Hineindenken in Überlieferungs-prozesse zeigt. Wie verändern Forschungsinstrumente der digitalen Geisteswissenschaften diese Situation, welche Möglichkeiten öffnen sie, den Verlusten in Archiv und Bibliothek zu begegnen? Ist der Verlust ›authentischer‹ Überlieferung einholbar? Was bedeutet dies für die (digitale) Sammlungsforschung? Jenseits dieser theoretischen und methodischen Fragen fordert die digitale Überlieferung Archive und Bibliotheken sehr konkret heraus, stellt ihren semantischen Kern (Assmann 1992, Gehring 2016) in Frage, denn die Verluste sind nun noch sichtbarer in ihrem Inneren ausfindig zu machen: sie betreffen den Speicher und die nicht primär auf Dauer angelegten Speicherformate (Kramski 2016). Welche Eigenschaften digitaler Archivalien bzw. digitaler Sammlungsgegenstände sollten, welche können erhalten werden, um den Fragestellungen von Forscherinnen und Forschern und den Ansprüchen ›authentischer‹ Überlieferung gerecht zu werden? Dass digitaler ›Content‹ Grenzen bzw. Bindungen ›überwindet‹, die das Materielle, die Hardware, setzt, ist fraglich (Ries & Palko 2019). Was geht verloren, wenn Informationen von ihren physischen Trägern (Krämer 2008), z.B. im Falle ihrer Obsolenz, gelöst und auf diese Weise erhalten werden? Wie können nicht zuletzt die Umgebungen, in denen born-digital Objekte genutzt werden, durch Emulation erhalten werden (Kirschenbaum, Farr, Kraus u.a. 2009)? Und wären, gerade im Hinblick auf die Archivierung von Computerspielen (Guttenbrunner, Becker & Rauber 2010) – als komplexen digitalen Objekten und als komplexen narrativen Phänomen, die klassischen Konzepten von Autorschaft nicht mehr folgen – auch Nutzungsformen und Interaktionen zu bewahren?

Die „Verluste“ – bzw. das nicht Gespeicherte und das Nicht-Speicherbare, zum Verschwinden Bestimmte, Ephemere – stehen in diesem Spannungsfeld grundsätzlicher Fragen, spezifischer Fallgeschichten und neuer Dringlichkeiten im Zentrum der Midterm-Tagung des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel.

Willkommen sind Beitragsvorschläge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen der Geschichts-, Literatur- und Kulturwissenschaften sowie auch auf Ansätze der Computerlinguistik, Game Studies (Ludologie), der Archive & Library Studies. Erwünscht sind interdisziplinäre Fragestellungen und Ansätze, die materialintensive Forschung mit theoretischer und methodischer Reflexion verbinden, sowie Beiträge, die sich mit den noch ungelösten Fragen der Bewahrung und Zugänglichkeit von Born-digitals wie etwa narrativen Computerspielen als komplexen digitalen Objekten befassen und dabei dezidiert auf den ästhetischen Eigenwert dieser Objekte eingehen. Sehr willkommen sind Vorschläge von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit einschlägigem Forschungsprojekt.

Bitte reichen Sie Abstracts (300 Wörter, Deutsch oder Englisch) für eine 30-minütige Präsentation mit kurzen bio-bibliographischen Angaben bis zum 15. Februar 2021 per E-Mail an forschung(at)dla-marbach.de ein.

Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Die Kosten für Anreise und Unterkunft während der Tagung werden übernommen.

Veröffentlicht am 09.02.2021