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Female Remains – Frauenschicksale und die Vermessung der Geburt

Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Female Remains – Frauenschicksale und die Vermessung der Geburt

Einunddreißig weibliche Beckenskelette sind die letzten erhaltenen Präparate der berühmten Forschungssammlung der Kieler Geburtshelfer Michaelis und Litzmann. Jetzt beleuchtet das Museum die Sammlung neu: Den medizinischen Forschungsinteressen werden die Biografien von fünf Frauen gegenübergestellt, die zwischen 1844 und 1873 zur Entbindung in die Gebäranstalt gekommen waren. Damit verknüpft ist die Frage nach einem angemessenen Umgang mit diesen Körperpräparaten in der Gegenwart.

Die historischen Präparate bilden den Mittelpunkt der Ausstellung. In einem eigenen Raum hängen – nummeriert und sorgfältig aufgereiht – krankhaft veränderte Beckenskelette in einem Vitrinenschrank. „An diesen Körperpräparaten haben die Kieler Professoren Gustav Adolph Michaelis und Carl Conrad Theodor Litzmann zwischen 1830 und 1880 erforscht, wie die Form des weiblichen Beckens den Geburtsverlauf beeinflusste", erklärt Museumsleiterin Eva Fuhry. Die Beckenskelette stammen von mittellosen, unverheirateten Frauen, die das Kieler Gebärhaus aufsuchten, um kostenlose Geburtshilfe zu erhalten. „Der überwiegende Teil der Geburten nahm damals wie heute ein gutes Ende. Nur bei etwa drei Prozent aller Geburten in der Gebäranstalt traten Komplikationen auf, die Ärzte zu damaliger Zeit nicht behandeln konnten. Eine starke Beckendeformation gefährdete das Leben von Mutter und Kind allerdings in hohem Maße", so die Leiterin des Museums.

Wissenschaftliche Aufarbeitung 

Die Ausstellung Female Remains ergänzt die Präparate nun erstmals durch die Biografien der Verstorbenen. Gelungen ist das dank der Arbeit von Dr. Christian Hoffarth auf Grundlage der ab 1806 vollständig erhaltenen Aufnahmebücher der Gebäranstalt. Der Historiker und Personenforscher folgt, gefördert durch die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des UKSH Kiel, bereits seit 2012 in Kirchen- und Kommunalarchiven den Spuren der im Kieler Gebärhaus verstorbenen Schleswig-Holsteinerinnen und ihren Kindern. Ab 2016 wertete der Medizinhistoriker Dr. Ulrich Mechler in einem von der VolkswagenStiftung finanzierten Forschungsprojekt an der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung die ebenfalls erhaltenen Journale der Geburtsverläufe aus. Er erarbeitete daraus eine Geschichte der geburtshilflichen Beckenforschung, wie sie maßgeblich von Michaelis und Litzmann in Kiel vorangetrieben wurde. Insbesondere beschäftigte er sich mit der an der Gebäranstalt geübten Forschungspraxis und dem Verhältnis zwischen Geburtshelfer und Patientinnen. Dank einer großzügigen Förderung durch das Ministerium für Bildung und Wissenschaft sind die Ergebnisse nun als Ausstellung in der Medizin- und Pharmaziehistorischen Sammlung zu sehen. 

Medizinethik im Mittelpunkt

Akribisch und sachlich haben die Ärzte in ihren Journalen jeden Geburtsverlauf notiert – gegebenenfalls bis hin zum Tod der Mutter. „Es ist manchmal schwer auszuhalten, wenn man liest, wie die Ärzte verzweifelt versucht haben, der Mutter und dem Kind zu helfen. Oftmals aber reichten die Diagnoseverfahren nicht aus, so dass die Entscheidung für eine der Situation angemessenen  Operationstechnik schwierig war", sagt Fuhry. „Man hat die Frauen aber auch nicht nach ihren eigenen Wünschen gefragt, weil man ihnen den notwendigen Sachverstand absprach. Der Arzt traf eine patriarchale Entscheidung."

In der Ausstellung finden sich überall gelbe Spiegelflächen, die zu einem Perspektivwechsel auffordern. „Wir laden die Besucher*innen ein, sich in die Rolle des Geburtshelfers, der Hebamme oder einer Patientin zu begeben", sagt Fuhry. Wie würdest du entscheiden? Wen retten: Mutter oder Kind? Damals wie heute gibt es auf viele Fragen in lebensbedrohenden Situationen keine einfachen Antworten.

Die Ausstellung möchte das Bewusstsein der Besucherinnen und Besucher für medizinethische Fragen schärfen. Am Schluss gibt es eine Feedback-Station, bei der das Museum ein Meinungsbild zum angemessenen Umgang mit der Körperpräparate-Sammlung der Kieler Gebäranstalt in unserer Zeit einholen möchte.

Das Wichtigste in Kürze:

Female Remains. Frauenschicksale und die Vermessung der Geburt 
Eine Ausstellung der Medizin- und Pharmaziehistorische Sammlung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Brunswiker Str. 2, 24105 Kiel

Ausstellungsdauer bis März 2022 
Öffnungszeiten   Di-Fr 10-16 Uhr, So 12-16 Uhr
Führungen   nach Absprache: medmuseum(at)med-hist.uni-kiel.de  
Eintritt    3 Euro, ermäßig 1 Euro. Maskenpflicht

Veröffentlicht am 15.09.2020